Sehnsucht nach dem Licht
Frei vom Logos, jenseits vertrauter Denkgewohnheiten, in den Schattenzonen unserer Wahrnehmung wartet eine Realität, die viel subtilere Erkenntnisse bereithält als konventionelle Kunstrichtungen vermitteln können.
In ihr werden Zusammenhänge erhellt, die wahrer sind als die dialektisch zersplitterte Wirklichkeit unseres Verstandes: Momente absoluter Gewissheit.
Der Verdacht von etwas anderem
Solche Momente erleben Liebende, führen Mystiker oder Künstler herbei, andere wieder versuchen sie mit raffinierten Substanzen zu erzwingen. Fern von Logos, Zeit oder Aktualität emanzipieren solche Eingebungen vom Haben und erinnern wieder an das Sein: an unser Selbst, das noch intakt war, bevor die Zivilisation sein ursprüngliches Wesen verfremdete und unsere Handlungen konditionierte.
„Le Soupcon d´autre chose“ – frei nach Albert Camus –; der Verdacht, dass noch eine andere Wirklichkeit existiert jenseits der Prosa unseres Lebens, eine tiefere Einsicht, ein vollkommeneres Glück, prägt das Oeuvre von Rudolf Hürth und verleiht ihm seine spirituelle Tragweite.
Wie ein Negativ, das in der Entwicklerlauge immer klarere Konturen, annimmt, kristallisiert sich die Botschaft der Bilder heraus – bis sie den Betrachter involviert, absorbiert und als Echo in seinem Kopf widerhallt – intensiv, suggestiv, fast hypnotisch. „Vergiss alles, was du über Kunst gelernt hast“ scheinen sie zu flüstern, „und begib dich auf fremdes Terrain … “
Hinter dem Horizont geht´s weiter
„Warum machst du das, was du machst?“, fragte man einst einen Künstler, als er leidenschaftlich und mit Hingabe ein großes Werk schuf. „Weil ich die Dinge sichtbar machen will!“, erwiderte der Meister mit der Gewissheit eines Propheten. Doch dafür galt es zunächst mit traditionellen Mustern zu brechen und Gattungsgrenzen zu über-schreiten: von der Malerei zur Bildhauerei; von der Bildhauerei zur Architektur. Der Visionär ist Rudolf Hürth, die Fragestellerin eine Radio-Moderatorin und die Kulisse ihrer Begegnung sein bekanntes Atelier in Wachtberg.
Als Marke scheint seine Kunst nicht nur haptisch, sondern auch kognitiv be-greifbar zu werden. Doch obwohl sein Oeuvre inzwischen offiziell als neue Kunstrichtung eingetragen ist, passt es in keine Schablone.
Die strotoplastischen Bilder verstören durch ihren omnipräsenten Doppelsinn und eine Prise Anarchie: Die Faszination ist ungebrochen, das Mysterium bleibt bestehen.
Farbgewaltige Metamorphosen
Im Cross-over der Stile schien bisher alles ausgeschöpft, doch Rudolf Hürths Werk addiert eine völlig neue Dimension. Heterogen und ambivalent – und doch wie aus einem Guss: Die Farben, die sich auf den Bildträgern in atmosphärischer Dichte entfalten, entwickeln eine spannende Eigendynamik und senden immer wieder neue, kraftvolle Signale aus. Innovative Techniken und Materialien ermöglichen Bildtiefen von mehreren Metern, so dass ein Teil seiner Kunstwerke begehbar ist.
Rudolf Hürths Kunst ist immer auch Inszenierung und beinhaltet eine magische Dynamik: Als strebe die Farbebene vom Bilduntergrund fort und verwandle sich schließlich in einen anderen Phänotyp, eine neue Seinsform. Und die Metamorphose gelingt – eine autonome Schöpfung entsteht.
„Die Ekstase der Tamar“ ist fertig: groß, knallig, tief, sehnsüchtig. Der sonst vor Lebenskraft sprudelnde Künstler scheint nach innen gewandt, ein Moment, in dem die Gewissheit des Meisters ihre wahre Quelle zu offenbaren scheint: die Sehnsucht nach dem Licht.
Die magische Erfahrung des Glücks …
Wenn etwas Neues entsteht, will man von Anfang an dabei sein.
Und so begleiten wir den Künstler gedanklich durch alle Schaffensphasen und sehen im Geiste zu, wie er von der Austauschbarkeit in die Alleinstellung avanciert: mit begnadeter Finesse, Strich für Strich, Kreation für Kreation.
Wir stellen uns vor, wie er seine Skulpturen mit der Präzision eines Architekten entwirft, dann filigran aus dem Material herausarbeitet, sie in mehrschichtigen Phasen auf dem Bildträger fixiert, schleift, spachtelt, modelliert und wie sie dann im Fortgang des Schaffensprozesses ihre farbige Fassung erhält: explosiv multidimensional wie in „Judith bei Holofernes“; erinnerungstrunken wie in „Grenzgänger“ oder temperamentvoll und jetztzeitig, in geschnittenen Strudeln, wie in „Entgrenzung“.
… die nichts enthüllt …
Ein neues Formenverständnis ist geboren, so kraftvoll und authentisch, als hätte es nie ein anderes gegeben. Rudolf Hürths Oeuvre füllt ein Vakuum, von dem man vorher gar nicht wusste, dass es existiert. Doch jetzt, da es unversehens ausgefüllt ist, verzehrt sich die Erkenntnis nach dem Mehr. Ein Verlangen entsteht, das erst gestillt wird, wenn der letzte, große Schleier des Seins gelüftet wird und sich das Geheimnis unseres Universums offenbart.
Bis dahin bleiben wir Suchende und ahnen doch, dass unsere Suche nicht vergeblich ist. Daran erinnern die anfassbaren Impressionen von Rudolf Hürth, die immer auch ein Glücksversprechen beinhalten.
Lichtdurchflutete Materialien, elysische Farbwelten und im Epizentrum der sanften Subversion ein maskenhaftes Anlitz, welches das Geheimnis seiner Schönheit nicht preisgibt:
Das neue Kunstwerk „J´ai fais la magique étude du bonheur que nul n´élude“ erhält im Atelier seine finale Firnis. Monumentale 4,50 Meter hoch offenbart es die Ambivalenz unseres Strebens nach dem Glück: jenen elysischen Gefilden, die in unserem kollektiven Unterbewusstein beheimatet sind – eine Landschaft, die, weil sie in uns liegt, wir nie erreichen.