Der Hyperraum – Kunstausstellung Zurheide EDEKA

Einführung zur Ausstellungseröffnung am 11.08.2014
Rudolf Hürth: Hyperraum, Edeka Zurheide

Von Dr. Nicole Birnfeld

Natürlich wissen wir alle, wo wir uns gerade befinden. Oder sind Sie gerade irritiert?

Wir haben uns im größten Supermarkt Deutschlands versammelt, der wiederholt durch Auszeichnungen und durch ungewöhnliche Aktionen auf sich aufmerksam macht. Begeisterte Kunden, die von der Qualität der Waren, durch die Aufbereitung der ausgezeichneten Lebensmittel eine wahre Oase des Genusses vorfinden. Gourmetinseln laden zum Verweilen ein und lassen uns immer wieder ins Schwelgen geraten. Hier kommt man gerne vorbei, um sich von den Köstlichkeiten und dem hervorragenden Service zu überzeugen. Aber was nun?

Sie sind gerade Zeuge – inmitten des alltäglichen Treibens von Zurheide  – von einer Kunstperformance geworden. Das Ganze fand und findet nicht in einer Galerie oder an einem Ort statt, der ausschließlich für die Kunst vorgesehen ist: Feine Kost trifft auf Feine Kunst oder Feine Kunst trifft auf Feine Kost so lautet das Motto für die temporäre Ausstellung, in der die Einkaufsstraße des Genusses mit einer Kunstmetamorphose durchtränkt wird.

Zurheide Kunstausstellung

Der Künstler Rudolf Hürth hat Visionen und eines seiner ganz großen Anliegen ist, das Konventionelle abzustreifen und uns ALLE einzuladen, einen neuen Pfad in der Welt der  Kunst einzuschlagen.  Alte Sehgewohnheiten werden in neue Dimensionen geführt. Das bezieht sich sowohl auf seine Kunst, seine Materialien als auch auf seinen Mut, neue Orte für die Kunstwerke auszuwählen, Heinz und Rüdiger Zurheide hatten ebenfalls den Mut, das Experiment zuzulassen, um zwei auf den ersten Blick unvereinbare Welten miteinander zu verbinden.

Noch eben haben Sie den Einkaufswagen an der Auslage der glänzenden dunkel violett farbenen Auberginen und an saftigen Aprikosen vorbeigeschoben und eher Sie sich versehen, sind die der Einladung von Rudolf Hürth gefolgt.

Sie waren gerade Zeuge einer Enthüllung: Ein gazeartiger Stoff breitete sich über das Kunstwerk aus, das jegliche Definitionen von was ist, was soll und was muss ein Kunstwerk sein auf den Kopf stellt. Solche feierlichen Enthüllungen waren vor allem im 19. Jahrhundert üblich, um ein Denkmal, das an ein bestimmtes Ereignis erinnern sollte, dem Publikum vorzustellen. Es ist ein Geniestreich des Künstlers, gerade solche herkömmlichen feierlichen Rituale in einen überraschenden innovativen Zusammenhang zu bringen: Der herkömmliche Betrieb geht weiter, kein Stillstand, kein Innehalten, das Leben, der Alltag pulsiert.

Waren werden weiter abgewogen und zum Kauf erwogen, man flaniert am Sushistand und an der Pastastation vorbei und vor der Schatzkammer wird innegehalten und gestaunt. Aber ab heute sind die Sinne noch mehr geschärft,  denn die Kunst dringt ein, infiziert die Umgebung, legt Spuren und lässt uns aufhorchen, was eben mit dem gerade Gehörten, der fantastischen Musik,  noch eine zusätzliche Sinnerfahrung darstellt.

Das Kunstwerk, das nun den Blicken freigegeben ist, scheint aber weder eine Skulptur im klassischen Sinne noch ein Bild zu sein. Dass eine eindeutige Definition ausbleibt, liegt auch daran, dass Hürth eine neue Kunst mit einem neuen patentierten Arbeitsmaterial geschaffen hat. Seine strotoplastischen Arbeiten gehen auf ein aufwändiges Verfahren zurück, in dem PU Hartschaum verarbeitet wird, wobei die letztendliche Mixtur ein Geheimnis bleiben wird.

Nun hat er für diesen besonderen Ort, einen ganzen Raum geschaffen: Es ist ein ungewöhnlicher Raum, der weder Wände noch eine Decke aufweist. Rudolf Hürth, der von  Hause aus Architekt ist, kennt sich nun wirklich mit Räumen aus. Wir folgen seiner Einladung und stellen uns der Herausforderung und treten durch eine Art Eingangstür, die  sich auffallend leuchtend weiß von allem anderen absetzt.

Der Hyperraum

Wir betreten einen Raum, der uns in eine andere Welt entführt. Mittendrin erfüllt uns eine Kraft, die über die Farbe dieses außergewöhnlichen Teppichs, der gleichzeitig ein Bild ist und wiederum zu zwei weiteren strotoplastischen Arbeiten überleitet.

Ein Bild hängt üblicherweise an der Wand, um es zu betrachten. Aber hier liegt das Bild auf dem Boden, das mit seiner Farbkraft und seiner Formenvielfalt den dynamischen Prozess des Künstlers Hürth erfahrbar macht.

Die großformatigen Arbeiten wirken wie zwei riesige Stelen, an denen erkundet wird, wie Bilder gebaut werden. Man fühlt sich an zwei riesige archaische Wächterfiguren erinnert, die von einer anderen Zeit und von einer anderen Welt erzählen. Diese strotoplastischen Arbeiten, die sich in den Primärfarben Rot und Blau voneinander absetzen und wiederum anziehen, zeigen im oberen Teil ein abstrahiertes Gesicht. In ihrer Aufstellung sind sie nun aneinander zugewandt und nehmen ein Prinzip auf, das in der Kunst von Hürth nicht wegzudenken ist: Die Bipolarität zieht sich wie ein roter Faden durch das bisherige Werk des Künstlers. Wer fühlt sich da nicht an den römischen Gott Janus erinnert, der auf Abbildungen als doppelköpfige Figur, in der Regel voneinander abgewandt, dargestellt wird. Dabei blickt der doppelköpfige Janus vergleichbar wie eine Tür oder ein Tor.  Was verbirgt sich davor oder dahinter?  Schutz oder Ausgeliefertsein,  Durchdingung von Gut und Böse, Anwesenheit von Dämonen und guten Geistern, geladenen und ungebetenen Gäste,  aber vielleicht auch einfach Wind, Regen, Sonnenglut, Sturm, Schnee oder Hagel. Janusköpfig heißt eben auch, dass immer zwei Seiten der Medaille vorhanden sind, dass das Positive und Negative ganz dicht nebeneinander liegen und die Wahrheit schnell veränderlich ist, von welcher Seite betrachten wir das Ganze?

Rudolf Hürth zeigt mit seinem , dass ein Bild auch begehbar ist und durchaus mit Leben erfüllt sein kann: Der Mensch und die Kunst sind eins: Haucht die Kunst dem Mensch Leben ein? Oder belebt der Mensch die Kunst? Wo befinden wir uns? Gibt es Grenzen in dem gedachten Raum? Wo und wie geht es weiter? Unendlich, was heißt das eigentlich? Ob Sie eine Antwort finden? Wahrscheinlich nicht, aber  inmitten des Alltags kann ein solches begehbares Bild auch dazu einladen, solche und weitere existenziellen Fragen zu berühren. Somit bezeichnet der  eine Erweiterung eines herkömmlichen Raumes. Und wer hätte das gedacht, dabei sind wir schnell bei den wesentlichen Fragen des Lebens angelangt:

Vielleicht sind Sie durch ein Kunstspektakel angelockt, in letzter Konsequenz scheint  das zu einfach und wird dem Kunstkosmos von Hürth nicht gerecht. Vielmehr wird in den Arbeiten von Rudolf Hürth stets das Existenzielle berührt.  Verfolgen wir nun den Kunstparcour durch die Weite des Supermarkts, so treffen wir auf Bäume, die keine herkömmlichen sind. Elypsen und amorphe Formen scheinen daran zu erwachsen oder spalten sich ab. Wächst gerade etwas neues, bildet sich etwas anders? Was kann entstehen, wie wird es aussehen oder ist es morgen schon verblüht und wechselt am Ende die Farbe. Man ist versucht, beim nächsten Tag wieder hierzukommen, um genau das zu überprüfen. Die sogenannten DNA-Säulen breiten sich aus und führen zu einer Kunstinsel, die Hürth hier gesondert eingerichtet hat. Ein riesiges Auge scheint das bunte Trieben allzeit zu beobachten.

Lassen sich von der Kaffeebar verführen und schauen dabei auf strotoplastische Bilder, die eine andere Verführung anstreben: Sinnliche oder gar erotische Anspielungen sind zu vordergründig, wenn man die entsprechenden Titel wie Neogenese oder Genesis liest, auch solche haptischen Formen erzählen vom Anfang und vom Ende des Lebens.

Die strotoplastischen Arbeiten lassen sich auch nicht immer in rein abstrakte, rein gegenstandslose oder rein figurative Gebilde kategorisieren. Nahezu naturalistisch begegnet uns eine Bulldogge vor der Fleischabteilung. Alles ist perfekt herausgearbeitet, was diese Hunderasse auszeichnet bis zu dem sogenannten Stiernacken, der dick, muskulös und kurz erscheint. Surreal sind aber die Flügel und die geheimnisvollen Kreise, die über den Körper ausgebreitet sind.

Während die blauen Augen gegen den Himmel gerichtet sind, ist die Standfläche des Hundes keineswegs gesichert, denn er balanciert auf Spielwürfeln. Wie lange wird das gut gehen und schnell scheint das Tier zu einer Metapher zu werden, um die –unsere- Sicherheit und Unsicherheit zu thematisieren? Wie lange wird es gut gehen mit dem Überflieger? Wann werden die Würfel kippen und wieder neu gemischt werden?

Erlauben Sie mir am Ende noch folgende Bemerkung:

Zugebenermaßen war für mich heute die Erfahrung völlig neu, zu Ihnen zwischen feiner Kost und Kunst zu sprechen.

Wenn ich mich hier so umschaue, scheint mir aber die Begegnung von Zurheide und Hürth kein Zufall zu sein. Hier werden ganz konkret die Sinne angesprochen: Lassen Sie ihren Blick von den sorgsam geschichteten Waren ein wenig höher über die Regale schweifen, dann lesen sie in Reliefschrift, fast wie ein Credo von Zuheide, wozu auch die Kunst von Rudolf Hürth einlädt:

Erkennen, Überraschen, Betrachten, Genießen, Sehen, Staunen.

Der  zusammen mit den anderen strotoplastischen Arbeiten entlädt genau diese Sinneserfahrungen, die in dieser Umgebung Kunst und Leben zusammen rücken lässt.

Das Gesamtkunstwerk von Rudolf Hürth scheint eine andere Dimension gefunden zu haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!